Buzzwords entsummt*: „Issues Management“

Issues Management hat nichts mit Glaskugel lesen zu tun. Im Gegenteil, der Issues Manager muss das Weltgeschehen ganz genau beobachten, analysieren und daraus mögliche Gefahren für sein Unternehmen identifizieren.

(15 Minuten Lesezeit, veröffentlicht am 10.05., aktualisiert am 14.05.2020) Issues Management? Was bedeutet das eigentlich und was fängt man damit an? Diese Fragen stellte ich mir, als ich den Begriff zum ersten Mal hörte. Im ersten Moment konnte ich mir nichts unter dem Begriff vorstellen. Nach ausgiebiger Recherche wurde mir klar, wie wichtig der Begriff bzw. die dahinterstehende Bedeutung für Unternehmen gerade in der heutigen Zeit ist. Doch wisst ihr eigentlich, welche Bedeutung diesem Begriff in der Wirtschaft zukommt? Einen kurzen Überblick geben wir euch in diesem Beitrag.

Issues Management gilt allgemein gesehen als eine PR-Strategie, die es Unternehmen ermöglicht, individuell und zeitnah auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren zu können, indem es sie quasi „vorhersieht“. Gerade in Zeiten der Digitalisierung, in einer sich schnell wandelnden Welt, stehen Unternehmen unter enormen Druck sich diesen Veränderungen schnell anpassen zu können. Sie stehen somit unter ständiger kritischer Beobachtung der Öffentlichkeit.

An dieser Stelle kommen die sogenannten Issues ins Spiel. Als Issues (engl.: Streitfall, Problem, strittige Frage) werden Themen oder Sachverhalte bezeichnet, die vermehrt im öffentlichen sowie im medialen Interesse stehen und ein mögliches Risikopotenzial für das Unternehmen mit sich bringen können, wenn die Interessen bzw. Ansprüche innerhalb der Gesellschaft nicht mit den Aktionen und Leistungen der Unternehmen übereinstimmen. Diese Issues gewinnen erst dann an Relevanz für das Unternehmen, wenn sie von Meinungsträgern in der Gesellschaft sowie verschiedenen Interessengruppen angesprochen und somit an das Unternehmen herangetragen werden. Jene Sachverhalte stellen für die eben benannten Akteure ein Problem dar und werden in Beziehung zum Unternehmen gesetzt. Zu den Akteuren zählen unter anderem verschiedene Verbände, Organisationen, Aktionäre sowie Politiker.

Werden die gesellschaftlichen Anliegen durch das angesprochene Unternehmen nun unterschätzt oder gar ignoriert, lassen wirtschaftliche Konsequenzen bis hin zu einer handfesten Unternehmenskrise nicht lange auf sich warten. Adidas war in der Coronakrise zum Beispiel schlecht beraten zu veröffentlichen, dass sie für ihre Läden beabsichtigten keine Mieten mehr zu zahlen.

Ein schlechter Ruf, Gewinneinbrüche oder der Konsum-Boykott der eigenen Produkte können die Folge sein. Je größer die öffentliche Aufmerksamkeit für das Unternehmen ist, desto mehr ist ein Unternehmen in seinen Handlungen eingeschränkt.

Welche längerfristigen Auswirkungen sich aus einer verstärkten, durchaus negativen öffentlichen Aufmerksamkeit für ein Unternehmen ergeben können, zeigt der Abgasskandal bei VW. Bis heute muss sich der Konzern den Konsequenzen stellen, ob nun vor Gericht oder durch ständig neue negative Schlagzeilen in den Medien. Er hat bis heute starke Auswirkungen auf die Organisation des Konzerns, die sich von der Produktion der Fahrzeuge bis hin zum obersten Management gezogen haben und so unter anderem zu zahlreichen Entlassungen, Geldkürzungen und Unzufriedenheit in der eigenen Belegschaft geführt haben.

Aus der Unternehmenskrise wieder herauszukommen und die öffentliche Meinung zu ändern, ist nun die Herausforderung. Hier kommt das Issues Management ins Spiel.

Die Aufgabe des Issues Management ist es, solche Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln, die Unternehmen aus einer solchen Unternehmenskrise heraushelfen oder diese sogar verhindern können. Die eigenen Handlungen und Aktionen werden an die gesellschaftlichen Interessen angepasst, um eine negative Öffentlichkeit zu verhindern. Unternehmen können durch diese Maßnahmen der Öffentlichkeit zuvorkommen, in dem sie z.B. selber Themen in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen, die zu einem späteren Zeitpunkt in der Gesellschaft an Bedeutung gewinnen könnten. Im Gegenzug werden relevante gesellschaftliche Themen in die Unternehmensstrategie miteinbezogen.

Das Issues Management als Teil des strategischen Managements eines Unternehmens läuft dabei in mehreren Phasen in einem langjährigen Prozess ab. Es beginnt damit, dass aktuelle und auch mögliche zukünftige Themen identifiziert werden, die im zweiten Schritt nach Relevanz und Gefahrenpotenzial ausgewählt und gewichtet werden. In einem dritten Schritt werden die als relevant eingestuften Issues nochmals analysiert, um herauszufinden, welche potenziellen Auswirkungen das jeweilige Issue auf das Unternehmen hat und woher es eigentlich stammt. Im abschließenden Schritt geht es darum eine konkrete Präventionsstrategie zu entwickeln und diese dann auch umzusetzen. Dabei ist das gesamte Unternehmen gefragt, das hinter dieser Strategie stehen und diese unterstützen muss, damit sie wirksam werden kann.

Ein Beispiel

Erst vor kurzem ist Bahlsen haarscharf an einem Shitstorm vorbeigeschrammt. Irgendjemand hatte festgestellt, dass das Kekssortiment „Afrika“ (das es schon seit Jahrzehnten gibt) nicht mehr zeitgemäß und diskriminierend sei. Gerade Marken schätzen ihre Möglichkeiten und Grenzen in den sozialen Medien oft völlig falsch ein. Anhand eines ganz „harmlosen“ Beispieles haben wir mal versucht, die Entwicklungsgeschichte einen Issues nachzuerzählen:

Natural Environment Research Council (NERC)

Ein Beispiel für die Risiken und die Unberechenbarkeit, die sich aus der Internet-Kommunikation, gerade über soziale Netzwerke, ergeben zeigt das Beispiel des Natural Environment Research Council (NERC).

Schwaches Signal: Ein neues Thema kündigt sich an

Vor etwa vier Jahren rief das britische Forschungsinstitut die Internetnutzer dazu auf, Namensvorschläge für einen Eisbrecher im Polarmeer einzureichen.

Anliegen: Das Thema wird von einer Anspruchsgruppe aufgenommen und verstärkt

Das Resultat: Mehr als 7000 Vorschläge wurden auf der Website eingereicht, darunter auch ein Name, der vom ehemaligen Moderator der BBC, James Hand, eingereicht wurde. Der Vorschlag: „RRS Boaty McBoatface“. Das Interesse der Medien war eigentlich vorhersehbar.

Öffentliches Issue: Das Anliegen findet (moralische) Unterstützung in der Öffentlichkeit und das Interesse der Medien

Während traditionelle Namensvorschläge wie „RRS Henry Worsley“ eher weniger interessant für die Internetnutzer waren, entwickelte sich der Vorschlag von Hand zum Internetliebling und erhielt die meisten Stimmen bei der Online-Abstimmung. Einige Medien berichteten darüber.

Konflikt-Issue: Das öffentliche Issue bildet eine Konfliktlinie mit dem Unternehmen

Der Natural Environment Research Council entschied sich jedoch gegen diesen Vorschlag, mit der Begründung, dass ein Name gewählt werden sollte, der der Sache angemessener war. Beabsichtigt waren eigentlich Namensvorschläge, die an historische Figuren oder nationale Sehenswürdigkeiten angelehnt sein sollten. Sie entschieden sich letztlich dazu, das 200 Millionen Pfund teure Schiff nach dem britischen Tierfilmer David Attenborough zu benennen. Das rief Proteste in den sozialen Medien hervor; ein Shitstorm nahm seinen Lauf.

Dauerkonflikt-Issue: Die Fronten verhärten sich. Das Issue führt zu einem Dauerkonflikt

Diese Entscheidung rief jedoch den Ausschuss des britischen Unterhauses, das Komitee für Wissenschaft und Technik, auf den Plan. Diese stellten nun Ermittlungen an, da der von der Mehrheit ausgewählte Name nicht berücksichtigt worden war. Befragt wurde dazu auch der Nerc-Chef Duncan Wingham.

Regulation: Das Issue wird politisch geregelt

Der Wissenschaftsminister Jo Johnson, der für die finale Namenswahl zuständig war, widersprach zunächst einer Aussage des Ministers für Kultur, Ed Vaizey, der der Meinung war, dass der Willen des Volkes respektiert werden müsse und forderte stattdessen einen ernsthaften Namen. Mittlerweile hat er den Namen als „nicht geeignet“ abgestempelt. Er habe die Online-Abstimmung ohnehin von vorneherein als Ideensammlung und als „nicht bindend“ eingestuft. Auch der Ex-Moderator der BBC, James Hand, entschuldigte sich später für seinen Vorschlag, mit dem er eine solche Kontroverse ausgelöst hat.

Eine kleine Entschädigung gab es für die Fan-Community letztlich dann doch. Der von ihnen gewählte Name wurde nicht komplett ignoriert. Ein kleiner ferngesteuerter, gelber Tauchroboter, von der Besatzung zukünftig zu Forschungszwecken eingesetzt, trägt nun diesen Namen.

Hätte diese Kontroverse verhindert werden können? Wahrscheinlich, wenn man von vornherein ein Konzept für diesen Namenswettbewerb angelegt hätte, in dem „Spielregeln“ vorgegeben worden wären. Und wenn das Unternehmen vorher in den sozialen Medien präsent gewesen wäre, um somit früher darauf reagieren zu können.

Issues Management im Unternehmen: keine Praktikantenaufgabe!

Zahlreiche Unternehmenskrisen sind das Ergebnis des Ignorierens gesellschaftlicher Anliegen. Es hat manchmal durchaus etwas vom Lesen in der Kristallkugel, diese Anliegen zu erkennen. Im Unternehmen sollte Issues Management Chefsache und somit in der Stabstelle angesiedelt sein. Es ist eine Position, die in enger Abstimmung mit anderen Unternehmenseinheiten arbeiten muss und die in bestehende Planungsprozesse des Unternehmens eingebunden sein sollte. Diese Position sollte einen direkten Zugang zu Vorstand oder Geschäftsführung einschließen. Der Issues Manager muss mit klaren Vorgaben und Durchsetzungsstärke vorangehen können, denn er wird irgendwann auch mal der Überbringer schlechten Nachrichten sein. Issues Management ist keine Praktikantenaufgabe!

Issues Management demnächst in der Politik?

Übrigens ist das Thema auch in der deutschen Politik angekommen. Bei der Regierungsbefragung vom 13. Mai 2020 fragte der Linken-Abgeordnete Harald Weinberg, ob es nicht jetzt an der Zeit sei, zur Vorbereitung auf eine mögliche nächste Krise (nach Corona, d. Red.) ein unabhängiges Krisenmonitoring (das ist Issues-Management) zu etablieren. Daraufhin antwortete Kanzlerin Merkel, dass er doch solch eine Gruppe gründen solle, sie würde die Lageberichte jede Woche lesen.
– Wir bleiben gespannt!

Und Issues Management als Agenturaufgabe?

Unsere Agentur Eins A Kommunikation „macht“ Issues Management für Kunden, die selber nicht die Personalkapazitäten haben, so wie wir manchmal die Rolle des Pressesprechers für ein Unternehmen übernehmen (gerne wird das in Krisenzeiten wahrgenommen). Ein Beispiel: Corona-Krise, es war die Woche vor dem 1. Mai, am 4. Mai sollten die ersten Lockerungen in Kraft treten. Das wurde gerade sehr kontrovers diskutiert. Einer unserer Kunden, ein Private Equity Unternehmen, hatte gerade eine Firma für Lüftungsanlagen gekauft. Sie waren sehr stolz auf den Deal und wollten gerne sofort damit an die Öffentlichkeit. Unsere Agentur analysierte das und riet davon ab. Lüftungsanlagen stehen in dem Ruf Virenschleudern zu sein, dabei ist es völlig egal, ob das wissenschaftlich gesichert ist oder nicht. Es war zu erwarten, dass sich Journalisten oder Meinungsbildner in den sozialen Medien in dieser Corona-aufgeheizten Zeit sehr kritisch zu dem Merger äußern könnten und einen Prozess in Gang setzen, der gerade so nicht gebraucht wird. Das Anliegen der breiten Öffentlichkeit liegt eben gerade ganz woanders. Wir berieten unseren Kunden dahingehend, dass die Veröffentlichung auf Mitte Mai verschoben wurde. Der Kunde sah das ein. Das war gelebtes Issues Management. Mitte Mai 2020 waren die Lockerungen in Kraft getreten und die Medien widmeten sich wieder mehr der Wirtschaft als dem Virus. Außerdem hatten wir genug Zeit, unsere Kunden auf eventuell schwierige Fragen vorzubereiten.

Wer den NERC-Fall vertiefen möchte:

Quellen: https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/untersuchungskommission-ermittelt-wegen-boaty-mcboatface-a-1091104.html (Zeitungsartikel)

https://www.n-tv.de/panorama/Brillanter-Name-gewinnt-Netzabstimmung-article17503146.html (Zeitungsartikel)

https://www.new-communication.de/neues/detail/issue-management-die-ruhe-vor-der-krise/

Weiterführende Links zum Thema Issues Management allgemein:

– „Unternehmen im öffentlichen Blickfeld – Zur Funktion und Implementierung von Issues Management-Systemen“ (Klaus Ries/ Peter M. Wiedemann): https://image-ev.com/wp-content/uploads/2016/03/Unternehmen-im-%C3%B6ffentlichen-Blickfeld.pdf

– Issues Management Gesellschaft (IMAGE) Deutschland e.V.: https://image-ev.com/

Link zu einem weiterführenden Buch:

– „Issues Management – Theoretische Konzepte und praktische Umsetzung. Eine Bestandsaufnahme“:  https://www.springer.com/de/book/9783531136882

Michelle Drescher (ist Werkstudentin bei Eins A Kommunikation) und Thorsten Windus-Dörr (ist Geschäftsführer bei Eins A Kommunikation) haben diesen Blogpost zusammen geschrieben.

*To buzz: summen, brummen, murmeln, durcheinanderreden

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