Schluss mit „Ja aber“! Harald Welzer stellt im Pavillon in Hannover sein neues Buch vor: „Alles könnte anders sein“.

Der kleine Saal im Pavillon ist ausverkauft. Ich habe auch nur eine Karte bekommen, weil ein Freund ein wichtiges Fußballspiel vorgezogen hatte. Welzer erscheint mit breiter Krawatte. Spontan muss ich an den Artikel in der FAZ denken, der das Ende der Krawatte prophezeite. Will Welzer dieses Accessoire als letztes Symbol der sterbenden bürgerlichen Gesellschaft erhalten? Aber dann sehe ich die Flasche Becks, die er auf seinem Pult stehen hat…

Welzer liest zwei Seiten aus seinem Buch und dann spricht er frei, gibt sich quasi selbst die Stichworte.  Die elende Debatte um Juso-Kühnert hat es ja gerade erst wieder gezeigt: Bei uns darf man nicht mehr utopisch denken. Welzer setzt dem sein „Schluss mit „Ja aber“ entgegen, „Lasst uns doch wieder utopisch denken“, lasst uns doch einfach mal wieder machen. Welzer geißelt die Art, mit der bei uns über dringende Probleme wie den Klimawandel diskutiert wird. Der Untergang wird quasi als unausweichlich antizipiert, als säßen wir im Grand Hotel Abgrund:“Soll das heißen wir können aufhören, uns für eine bessere Welt einzusetzen?“ Welzer fordert, dass wir uns neue Geschichten ausdenken, wie wir unsere Zukunft sehen. Vor 100 Jahren hätten die Menschen unsere heutige Gesellschaft auch für eine absurde Utopie gehalten.

Welzer stammt aus Bissendorf, studierte und lehrte an der hannoverschen Uni (als sie noch nicht Leibniz hieß); ich selbst hatte ihn kurzzeitig als Tutor. Professor für Soziologie und Sozialpsychologie, Professur für Transformationsdesign in Flensburg und St. Gallen, Direktor von Futurzwei. Das sind nur einige seiner Stationen; provozierende Bücher wie „Selbst denken! Eine Anleitung zum Widerstand“ pflastern seinen Weg.

Welzer ist brillant, provozierend und immer spannend. Am Ende bringt er auch Beispiele. Die autofreie Stadt beispielsweise, „die könnten wir morgen einführen“. Da ist er ja in Hannover, der Stadt mit der Schere im Kopf, genau richtig. Dabei gibt es die doch schon: in Pontevedra in Galizien, dort hat man sie einfach gemacht. Wir müssen nur wieder utopisch denken lernen.

Hier kann man den FAZ-Artikel: „Droht das Ende der Krawatte? Wirtschaftswelt im Wandel“ nachlesen:

Thorsten Windus-Dörr

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