Snapchat: Ist das wichtig oder kann das weg?

Der Kurznachrichtendienst Snapchat hat eine Welle der Begeisterung vor allem bei den unter 25-Jährigen ausgelöst. Doch scheinbar schwappte die Welle knapp an mir vorbei. Ich frage mich: Wozu der Aufwand, wenn sich die Inhalte maximal 10 Sekunden nach dem Aufruf löschen? Auch viele Unternehmen scheinen sich diese Frage zu stellen und glänzen im Netzwerk durch Abwesenheit. Doch können es sich ihre Marketing- und Kommunikationsprofis wirklich leisten, eine ganze Generation aus dem Visier zu verlieren? Bei uns in der Agentur diskutieren wir seit Wochen darüber. Links zu Artikeln werden gelesen und per Mail an die Kollegen weitergeleitet, in der Hoffnung, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Ich versuch’s mal.

Die Fakten sind eindeutig: Während viele Unternehmen immer noch verzweifelt versuchen, junge Menschen per Facebook zu erreichen, sind diese längst weitergezogen und überlassen den blauen Riesen den Eltern. Sogar ganz wilde, völlig schmerzfreie Großeltern habe ich schon gesehen. Vor allem in der wichtigen Zielgruppe der 16- bis 24-Jährigen lässt Snapchat Facebook hinter sich. Sehr schön zeigt diese Grafik der Horizont Bravo Studie: Die jungen Erwachsenen tummeln sich beim Geist und ich werde alt.

Muss man also auf knappe Snaps setzen, um mit der Zielgruppe interagieren zu können? Sabine Hoffmann weist in ihrem Beitrag auf die Wichtigkeit von Snapchat hin. Sie erläutert, wie der Dienst seinen Weg ins Marketing finden kann und worauf es dabei ankommt. Dass Snapchat ein sonderbares und vor allem polarisierendes Phänomen mit eigenen Spielregeln ist, ist nicht nur für sie selbstverständlich.

Das liegt besonders an drei Eigenschaften: Der Content ist flüchtig, die Bedienung der App ungewohnt und die Vernetzung mit anderen Nutzern schwierig. Dass der Content durch die kurze Lebenszeit der Beiträge nicht mehr auf Dauer abrufbar ist, finde ich schade, schließlich will ich mir doch später noch angucken können, was ich so gemacht habe. Mir fehlt eine Gallerie wie bei Instagram – meinem Social-Media-Favoriten. Doch vielleicht steckt dahinter der Reiz und die Relevanz. Man könnte eine direkte Reaktion auf die stetig anwachsende Informationsflut und die im Gegensatz dazu sinkende Aufmerksamkeit der Nutzer vermuten. Immer schneller, immer weiter, immer weniger Zeit. Ständig prasseln neue Informationen auf die Menschen ein. Wem es gelingt, kreativen Content bereitzustellen und so auf sich aufmerksam zu machen, der bleibt selbst durch 10-sekündige Clips im Gedächtnis.

Begeistert oder entgeistert, das ist hier die Frage

Nachdem ich mir die App heruntergeladen hatte, versuchte ich einige Zeit, mich darin zurechtzufinden und fühlte mich wie jemand um die 60+, der zum ersten Mal ein Smartphone in der Hand hält. Eigentlich mein treuster Begleiter. Snapchat ist intim und dadurch um einiges exklusiver als seine Konkurrenten. Externen Content kann man bisher nicht hochladen. Man snapt, was man sieht und geht mit einer „Snapchat-Brille“, auf der Suche snapchat-1360003_960_720-1nach dem perfekten Beitrag, durch die Welt. Seltsam finde ich vor allem die Filter, durch die man auf den Fotos sowie in den Kurzvideos Hundeohren, große Augen oder sogar Blumen ins Haar gezaubert bekommt. Warum nur? Snapchat soll Spaß machen. Das erklärt natürlich, wieso plötzlich so viele Menschen mitten auf der Straße vor ihrem Handy blöde Grimassen ziehen und Selfies schießen. Das macht man jetzt wohl so. Fünf Tipps, die aus dem Vortrag von Franziska Broich auf der re:publica stammen, sollen den Umgang mit Snapchat erleichtern und auf Gewohnheiten junger Leute hinweisen. Ein erster Schritt, um die berufliche Nutzung von Snapchat zu optimieren. Der große Andrang, den die Journalistin mit ihrer Präsentation auslöste, ist für mich ein Indiz der Ratlosigkeit, die Snapchat ausgelöst hat. Gleichzeitig muss ich beim Gedanken an die völlig verwirrten Gesichter der sonst so kompetenten Medienfachleute lachen. Wer versteht die App schon und findet auf Anhieb, was er sucht? Umso wichtiger sind die Kniffe, die sie ihren Zuhörern mit auf den Weg gibt. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Patrick Beuth, Redakteur der Zeit, macht auf eine ironische Art und Weise auf die werbetechnische Nutzung von Snapchat und die sich in den Anfängen befindende Jagd der Werbebranche auf die Nutzer aufmerksam. Die junge Zielgruppe sei nicht mehr lange unter sich. Rette sich, wer kann! Ich konnte bereits bei Facebook beobachten, welche negativen Auswirkungen der Beitritt der Elterngeneration auf das Nutzungsverhalten der jüngeren Generation besitzt. Plötzlich konnten Eltern sehen, liken, kommentieren und teilen, was ihre Kinder so trieben – also musste etwas Neues, weniger Peinliches her. Auch die Werbung war für mich wie für viele andere immer mehr der Auslöser dafür, dass man Facebook nicht mehr ganz so toll fand. Ob das bei Snapchat ähnlich sein wird?

Viele über 30 können sich mit folgendem Feature wohl am einfachsten anfreunden: Snapchat-Stories, die 24 Stunden abrufbar sind. Als ich mir jedoch die Snaps eines Food-Blogger-Video-Netzwerkes (Sie sehen, es geht noch komplizierter) anschaute, war ich erstaunt: Soll ich zum Nachkochen des Rezeptes nun innerhalb von 24 Stunden einkaufen gehen? Dumm gelaufen, keine Zeit. Und Lust habe ich schon mal gar nicht. Sicherlich lässt sich diese Funktion auch sinnvoller einsetzen. Es ist nur wichtig zu wissen, wie.

Und wie macht man’s jetzt richtig? It’s a snap!

Damit kommen wir zu positiven Beispielen. Auf eine interessante Art und Weise spielt der WWF mit der Selbstlöschfunktion von Snapchat und zeigt dabei, wie der Dienst werbetechnisch genutzt werden kann. Bedrohte Tierarten werden mit den Worten „Don‘t let this be my last selfie“ abgebildet. Die Beiträge löschen sich nach wenigen Sekunden – und verdeutlichen so das Aussterben dieser Arten. Mir blieb das direkt im Gedächtnis. So finde ich Snapchat ja irgendwie doch ganz gut.

Auch das ZDF sprang auf den Zug auf und erlaubte dem Zuschauer durch die Aktion ZDFBlickwechsel einen Einblick in das Leben von fünf Personen. Vom Astronautentrainer bis zur Dragqueen. Sie filmten sich über den Tag hinweg selbst und beantworteten die Fragen der Zuschauer.

Für all jene, die immer noch nicht so ganz wissen, was auf sie zukommt, hat Jens Stoewhase 10 interessante Nutzerprofile zusammengetragen – darunter ein Rechtsanwalt, der mit einem Stoffpinguin spricht und ein Journalist, der mit der Medienbranche abrechnet. Weitere Nutzer können bei Snapgeist entdeckt werden. Auch empfehlenswert: das Buch „Snap me if you can“ von Philipp Steuer. Das verschwindet nicht so einfach und beantwortet alle Fragen rund um die Funktionen und Vorteile des Instant-Messaging-Dienstes.

Außer Acht lassen sollte man Snapchat als soziales Medium also nicht. Für mich bleibt die Frage, ob sich der Hype auf meine Generation beschränkt und mit ihr älter wird oder ob Wachstum und steigende Nutzerzahlen auf Dauer garantiert werden können. Mal sehen, ich bin gespannt.

az (23)

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